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MÄNNLICHKEITEN IM WANDEL

Traditionelle und destruktive Vorstellungen und Formen von Männlichkeiten sind in unserer Gesellschaft nach wie vor allgegenwärtig, auch wenn die Männlichkeitsanforderungen in unserer modernen Gesellschaft im Wandel sind und die jetzigen Lebenswelten zum Teil nicht mehr mit den traditionellen Entwürfen und den damit einhergehenden Anforderungen an Männlichkeit übereinstimmen.

Nichtsdestotrotz zeichnen der zunehmende Rechtspopulismus, der erstarkende Antifeminismus und die nach wie vor hohen Zahlen häuslicher Gewalt ein düsteres Bild, welches auf die zum Teil unsichtbaren, starren, einengenden und oftmals in destruktiven Handlungsweisen mündenden Männlichkeitsbilder zurückzuführen gilt.

 

Doch was genau ist Männlichkeit überhaupt?

In welchen gesellschaftlichen und individuellen Zusammenhängen wird Männlichkeit sichtbar?

Warum braucht es konstruktive Formen und Vorbilder von Männlichkeit?

Wie können diese aussehen?

Und was ist überhaupt problematisch an traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit?

Hier findest du Begriffe und Zusammenhänge rund um das Thema Männlichkeiten, um dich zu informieren und zu bilden.

HollySiz - The Light (Clip officiel)
HollySiz

HollySiz - The Light (Clip officiel)

UNSERE THEMEN

Normative Männlichkeitsanforderungen in der Gesellschaft

Männlich sozialisierte Personen lernen schon im Kindesalter, dass "ein echter Junge*" oder "ein echter Mann*" sich nicht weich, sensibel oder schwach zeigen darf. Diese Eigenschaften werden in unserer patriarchalen Gesellschaft Mädchen* und Frauen* zugeschrieben, die während ihrer Sozialisation mit eigenen, ebenfalls an sie herangetragenen Erwartungen an eine geschlechtstypische Rolle konfrontiert werden. Klischeehafte Bilder und stereotype Vorstellungen von Männlichkeit in Büchern, Geschichten, Werbung, (sozialen) Medien, Politik, Kultur und Bildung reproduzieren tagtäglich dieses traditionelle Geschlechterverhältniss und transportierten klare Erwartungen an Jungen* und Männer* sowie Mädchen* und Frauen*. Entsprechend des Eintrags im freien Wörterbuch wird beispielsweise die Redewendung „seinen Mann stehen“ damit übersetzt, den speziell an einen Mann* gestellten Erwartungen entsprechen zu können. Als der Redewendung sinnverwandte Wörter wurden [1] sich bewähren, [2] tapfer sein, [3] tüchtig sein, [4] Mut zeigen, [5] seinen Platz behaupten und schließlich [6] es der Frau im Bett beweisen, gelistet. Deutlich wird in der Redewendung auch der Druck, der bei Jungen* und Männern* vor allem in unsicheren, kritischen und zum Teil gefährlichen Situationen durch die Anforderung der unbedingten Handlungssouveränität ausgeübt wird. Vermeintlich maskuline Kompetenzen und Eigenschaften wie Härte, Souveränität, Ehrgeiz, Selbstbewusstsein, Furchtlosigkeit, Entschlossenheit, Dominanz, Aktivität, Abenteuerlust und Durchsetzungsfähigkeit gelten in unserer patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaft als erstrebenswert und erfolgsversprechend. Sie werden von Jungen* und Männern* in kämpferischer Weise erlernt und geprüft und tragen damit zur Ausbildung von Männlichkeit, einem männlichen Habitus, bei. Pierre Bourdieu beschreibt diese männlichen Praktiken als die "ernsten Spiele des Wettbewerbs", die sich auf verschiedene Weise äußern können und oftmals mit körperlich riskanten sowie emotionalen und strafrechtlichen Risiken verbunden sind. Verbaler Wettstreit, Alkoholekzesse oder auch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Jungen* und Männern* sind Beispiele für die Herstellung und Absicherung von Männlichkeit. Aber auch in weniger offensichtlichen Machtkämpfen wie im wissenschaftlichen Wettstreit oder ökonomischer Konkurrenz zeigen sich die männlichen Dominanzspiele, die sowohl als Mittel der Anerkennung, als auch der Herstellung von Gemeinsamkeit dienen. Durch die vermeintlich spielerische, jedoch zum Teil brutale und grenzüberschreitende Art der ernsten Spiele des Wettbewerbs erlernen Jungen* frühzeitig Reaktions- und Bewältigungsmuster, mit denen sie ihre im Zuge der Konkurrenzkämpfe aufkommenden und weiblich konnotierten Emotionen wie Schmerz, Demütigung, Überforderung, Angst, Unsicherheit, Unterlegenheit sowie Erschöpfung kurzzeitig überwinden sowie langfristig verlernen und verdrängen. Obwohl diese Praktiken oftmals schmerzhaft sind, sind Alternativen zu den ernsten Praktiken für Jungen* nicht wirklich vorhanden. Durch die sozialen Erfahrungen von Jungen* und Männern* gehen bei männlich sozialisierten Personen Selbstanteile verloren, die hauptsächlich auf der Gefühlsebene operieren. Die Verluste beeinflussen die Gestaltbarkeit der eigenen Lebensführung, der Liebens- und Begehrensweise sowie die Fähigkeit, ein solidarisches Miteinander anstelle von hierarchischen und konkurrierenden Machtkämpfen führen zu können. Andere Persönlichkeitsanteile und Potenziale wiederum werden verstärkt ausgebildet und werden dadurch dominierend. Männlich (und weiblich) zu sein bedeutet, jeweils nur eine Seite der Medaille mit bestimmten Kompetenzen ausbilden und sich aneignen zu können, während die andere Seite vernachlässigt oder abgelehnt wird. Es ist wichtig zu betonen, dass Männlichkeitsanforderungen keine natürlichen und unveränderlichen Gegebenheiten und Eigenschaften sind, die Jungen* und Männer* zwangsläufig verkörpern (müssen). Aussagen wie "Jungs sind eben so" festigen die natürlich erscheinenden Eigenschaften, die vielmehr Ausdruck einer natürlich erscheinenden Geschlechterordnung sind, die einengende Normalitätsvorstellungen und gefährliche Botschaften hervorbringt. Im Alltag von Jungen* und Männern* fehlen Identifikationsmöglichkeiten mit alternativen Bildern von Männlichkeit, die die hegemoniale Norm unterwandern und ihre männliche Identität auf eine konstruktive Art jenseits hierarchischer Machtkämpfe und Dominanzansprüche ausleben. Bourdieu, Pierre (1997): Die männliche Herrschaft. In: Dölling, Irene/Krais, Beate: Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis. Frankfurt/Main: Suhrkamp. https://de.wiktionary.org/wiki/seinen_Mann_stehen

Väter und Elternschaft

Die Rolle von Vätern sowie das Bild von Vaterschaft hat sich in der heutigen Gesellschaft deutlich verändert.

Sexismus

Männlichkeit und Sexismus sind zwei eng miteinander verknüpfte Themen, die das Verständnis der Geschlechterdynamik in unserer Gesellschaft beeinflussen. Sexismus ist die Diskriminierung oder Vorurteile, die aufgrund des Geschlechts auftreten. Im Kontext von Männlichkeit bedeutet Sexismus oft, dass Männer* aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit privilegiert werden, während Frauen* und Personen anderer Geschlechter benachteiligt oder diskriminiert werden. Vor dem Hintergrund der bestehenden hegemonialen Männlichkeitsanforderungen können zudem sexistisches Verhalten sowie Sexismus generell als Bewältigungsform dieser Männlichkeitsanforderungen interpretiert werden, da eine Identifikation oder Solidarisierung mit spezifisch weiblicher Lebenserfahrung und Lebenswirklichkeit vor allem in der männlichen Adoleszenz oftmals mit sozialer Degradierung sanktioniert sowie die An- und Zuerkennung der eigenen Männlichkeit verweigert werden kann. Sexismus kann in vielfältigen Formen sowie verschiedenen Bereichen auftreten und sichtbar werden, darunter stereotype Vorstellungen, Vorurteile, Diskriminierung und Unterdrückung: Arbeitsplatz: Sexismus am Arbeitsplatz kann sich in Form von Lohndiskriminierung, ungleichen Aufstiegschancen, unerwünschtem sexuellem Verhalten, Belästigung, Vorurteilen bei der Einstellung und mehr manifestieren. Medien: Sexismus ist in den Medien oft sichtbar, sei es in der Art und Weise, wie Frauen* und Männer* dargestellt werden, in Werbung, Filmen, Fernsehsendungen oder Nachrichten. Die Objektivierung von Frauen* und stereotype Rollenbilder sind häufige Probleme. Öffentlicher Raum: Sexismus kann in Form von Belästigung auf der Straße auftreten, wie unerwünschtem Flirten, Catcalling oder Bedrohungen. Soziale Medien und Internet: Das Internet ist ein Ort, an dem Sexismus in Form von Cybermobbing, Belästigung und sexistischen Kommentaren verbreitet wird. Bildungseinrichtungen: Sexismus kann in Schulen und Universitäten in Form von Diskriminierung, Vorurteilen und Mobbing vorkommen. Politik und Regierung: Sexismus kann sich in der Politik und in Regierungseinrichtungen in Form von Diskriminierung von Frauen* und einer unzureichenden Vertretung von Frauen* in politischen Ämtern zeigen. Gesundheitswesen: Geschlechtsspezifische Ungleichheiten im Gesundheitswesen, Vorurteile gegenüber bestimmten Gesundheitsproblemen von Frauen* oder Männern* sowie ungleicher Zugang zu medizinischer Versorgung sind Beispiele für Sexismus im Gesundheitswesen. Familie und Beziehungen: Sexismus kann sich in persönlichen Beziehungen durch dominantes Verhalten, die Aufteilung von Aufgaben im Haushalt und stereotype Geschlechterrollen zeigen. Kultur und Traditionen: Einige Kulturen und Traditionen können sexistische Praktiken und Geschlechterrollen fördern. Sport: Sexismus ist im Bereich des Sports sichtbar, sei es in der Unterfinanzierung von Frauen* im Vergleich zu Männern* im Profisport oder in der Objektivierung von Athletinnen. Es ist wichtig zu beachten, dass Sexismus in vielen verschiedenen Formen und Ausprägungen auftreten kann und dass die Bekämpfung von Sexismus eine gemeinsame Anstrengung erfordert, um diese Ungerechtigkeiten zu erkennen und zu beseitigen. Geschlechtergerechtigkeit und die Beseitigung von Sexismus erfordern Sensibilisierung, Bildung und kollektive Anstrengungen auf gesellschaftlicher, institutioneller und individueller Ebene. Eine wichtige Facette des Verständnisses von Männlichkeit und Sexismus ist die Anerkennung, dass toxische Männlichkeitsideale zu einer Kultur der Unterdrückung führen können. Diese Ideale drängen Männer* oft dazu, Gefühle zu unterdrücken, Gewalt als Lösung für Probleme zu sehen und Frauen* oder Personen anderer Geschlechter zu dominieren. Geschlechtergerechtigkeit und die Beseitigung von Sexismus erfordern daher, dass Männlichkeit auf eine Weise neu definiert wird, die nicht auf Hierarchie oder Vorherrschaft basiert, sondern auf Gleichheit und Respekt für alle Geschlechter. Die Arbeit an der Beseitigung von Sexismus und der Neudefinition von Männlichkeit erfordert Engagement auf individueller, sozialer und institutioneller Ebene. Es ist ein fortwährender Prozess, bei dem die Reflexion über persönliche Einstellungen und Verhaltensweisen genauso wichtig ist wie die Förderung von Geschlechtergleichheit in der Gesellschaft. Das Ziel ist eine Welt, in der Männlichkeit nicht länger mit überlegener Macht oder Privilegien in Verbindung gebracht wird, sondern mit der Freiheit, authentisch und frei von geschlechtsspezifischen Einschränkungen zu sein.

Privilegien

Männliche Privilegien sind historisch gewachsene, unverdiente Vorteile und Chancen, die Männer* innerhalb des patriarchalen Systems allein aufgrund ihres Geschlechts genießen. Diese Privilegien sind das Ergebnis des gesellschaftlich fest verankerten hegemonialen Männlichkeitsideals, welches soziale Normen, Vorurteile und Hierarchien in sich vereint, die Männer* gegenüber Frauen* bevorzugen. Männern* werden durch ihre Dominanz gegenüber Frauen* nicht nur männliche Privilegien wie ökonomische Überlegenheit, Prestige, Macht sowie Anerkennung zuteil, ihre Dominanz in der Geschlechterordnung bewirkt auch, dass Frauen* Ressourcen in allen Bereichen ihres Lebens vorenthalten oder dass sie von ihnen ferngehalten werden; dass sie an gesellschaftlicher Teilhabe in materieller und immaterieller Hinsicht gehindert werden. Dadurch werden für Jungen* und Männer* Anreize geschaffen, diesem Ideal entsprechen zu wollen. Die Macht- und Dominanzposition, die Männer* aufgrund ihres Mann*-Seins einnehmen, erscheint ihnen verdient und dahingehend als legitim. Privilegien entstehen also nicht einfach aus einer Entscheidung für oder gegen diese Vorteile. Privilegien sind strukturell verankert, das heißt, dass in unserer Gesellschaft kulturelle, soziale oder ökonomische Strukturen existieren, in denen die ungleiche Verteilung von Chancen und Ressourcen zugunsten von Männern* in alle Lebens- und Arbeitsbereiche wirken. Männer* werden statistisch besser bezahlt, auch wenn Frauen* in den gleichen Positionen arbeiten. Darüber hinaus sind Männer* öfter in Führungs- und Machtpositionen wie zum Beispiel in der Wirtschaft und Politik vertreten, was ihnen einen größeren Handlungs- und Entscheidungsspielraum gewährleistet. Frauen* hingegen wird dieser Zugang oftmals erschwert oder durch ungleiche Auswahlverfahren verwehrt. Männer* werden bei Einstellungsgesprächen beispielsweise nicht nach ihrer Familienplanung gefragt und eine mögliche Vaterschaft wird nicht als potentielle Bedrohung für das Arbeitsverhältnis angesehen. Demensprechend wird öfter auf die Expertise von Männern* zurückgegriffen, da diese in vielen Räumen und Positionen überrepräsentiert sind. In diesen Räumen und Positionen wird Männern* mehr zugetraut, da Durchsetzungsvermögen, Souveränität und Dominanz männlich gelesene Verhaltensweisen sind, die Männer* versuchen zu verkörpern, wenn sie in unserer Gesellschaft als „echter“ Mann* gelten wollen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Männer* Unsicherheit oder Unwissenheit nicht zulassen oder sichtbar machen (können) und so wirken, als besäßen sie die vollumfängliche Expertise, auch wenn dies nicht der Fall ist. Männer* müssen tendenziell weniger Angst vor sexualisierter Gewalt haben, auch wenn dies nicht bedeutet, dass auch sie nicht davon betroffen sein können. Konkret äußert sich dieses Privileg darin, dass Männer* nachts auf dem Nachhauseweg nicht die Straßenseite wechseln müssen, wenn ihnen ein Mann* entgegenkommt oder Fake-Anrufe führen, damit sie weniger angreifbar wirken. Für viele FLINTA* - Personen sind solche „Sicherheitsmaßnahmen“ verinnerlichte Alltagspraxis, die auf zahlreichen Gewalt- oder Übergriffigkeitserfahrungen fußt. Männer* werden nicht als „Schlampe“ bezeichnet, wenn sie sexuell besonders aktiv sind oder viele Partner*innen haben und Männer* werden nicht als „Rabenväter“ angesehen, wenn sie viel arbeiten und wenig Zeit für die Erziehung und Fürsorge ihrer Kinder haben. Frauen* hingegen, die sich neben dem Mutter-Sein ihrer Karriere widmen und dem Partner die Fürsorgearbeit überlassen, werden mit dem gesellschaftlich normativen Bild der „Rabenmutter“ konfrontiert. Bei all diesen männlichen Privilegien gilt es festzuhalten, dass die Existenz männlicher Privilegien nicht bedeutet, dass alle Männer* ausschließlich von diesen Vorteilen profitieren oder dass sie nicht auch mit Herausforderungen und einschränkenden Erwartungen konfrontiert sind. Männer* of Color, Trans Männer*, homosexuelle Männer*, alleinerziehende Männer* oder obdachlose Männer* genießen nicht im gleichen Umfang die ganze Palette männlicher Privilegien. Männliche Privilegien sind ein Grund, warum es Männern* oftmals schwerfällt, sich für die Gleichberechtigung aller Geschlechter einzusetzen. Einerseits sind Privilegien unsichtbar: Die Vorteile, Chancen, Rechte, Zugänge, Teilhabemöglichkeiten oder auch Wahrnehmungen und Deutungen, die Männer* aufgrund ihres Mann*-Seins genießen, sind diesen oftmals nicht bewusst, sie erscheinen als unhinterfragte, selbstverständliche und unsichtbare Normalität, die aus Sicht vieler Männer* erstmal keinerlei Änderung bedarf, da sie ja davon profitieren. Dies macht den Umgang mit Privilegien auch so schwierig: Was unsichtbar und unbewusst ist, kann auch nicht kritisiert und verändert werden. Was also haben Männer* davon, sich ihrer Privilegien bewusst zu werden, gewissenhaft mit diesen umzugehen und sich dahingehend für die Gleichstellung aller Geschlechter einzusetzen? Da die geschlechtsspezifische Ungleichverteilung von Chancen und Ressourcen nicht auf legitimen Gründen wie beispielsweise Qualifizierung beruhen, geht es bei der Auseinandersetzung mit Privilegien immer auch um gesellschaftliche Machtverhältnisse und der Frage, wie diese abgebaut sowie Privilegien umverteilt werden können. Schnell kann bei Männern* dadurch der Eindruck entstehen, ihnen werde etwas weggenommen, was ihnen gefühlt zustünde. Dies kann eine schmerzhafte Erfahrung sein, da dadurch auch die männliche Identität in Frage gestellt wird. Die kritische Auseinandersetzung mit und Anerkennung von männlichen Privilegien lässt sich jedoch nicht allein auf individueller Ebene betrachten. Es geht also nicht darum, jemanden zu beschuldigen oder für bestehende Ungleichverhältnisse verantwortlich zu machen. Sich jedoch auf den eigenen Privilegien auszuruhen bedeutet im Umkehrschluss, bestehende Ungleichverhältnisse zu akzeptieren und auf Kosten anderer zu leben. Die Anerkennung männlicher Privilegien ist somit ein wichtiger Schritt hin zu einer gerechteren und gleichberechtigteren Gesellschaft, in der Geschlecht keine Rolle spielt, wenn es um Chancen, Rechte und Würde geht. Die Bemühungen zur Beseitigung männlicher Privilegien sind Teil des größeren Ziels der Geschlechtergerechtigkeit und der Gleichstellung aller Geschlechter.

Hegemoniale Männlichkeit

Die australische Soziologin Raewyn Connell versteht Männlichkeit sowohl als „eine Position im Geschlechterverhältnis“ als auch als „die Praktiken, durch die Männer* und Frauen* diese Position einnehmen, und die Auswirkungen dieser Praktiken auf körperliche Erfahrung, auf Persönlichkeit und Kultur“. Männlichkeit kann demnach nur in Abgrenzung zu Weiblichkeit sowie innerhalb des Systems des Geschlechterverhältnisses durch die Aneignung und Ausübung spezifisch männlicher Handlungen hergestellt und gedacht werden. Männlich zu sein bedeutet also in erster Linie nicht weiblich zu sein und dementsprechend weiblich konnotierte Eigenschaften weitestgehend zu unterdrücken und zu überwinden. Männlichkeit äußert sich jedoch nicht nur in der Relation und Abgrenzung zu Frauen*, sondern auch in hierarchischen Beziehungen zwischen Männern*, die von Dominanzpraktiken und Konkurrenzkämpfen geprägt sind. Somit existiert nach Connell nicht die Annahme einer homogenen männlichen Gruppe, er differenziert zwischen unterschiedlichen Männlichkeitsformen, welche ebenfalls von Über- und Unterordnungsverhältnissen und entsprechenden Dominanzpraktiken geprägt sind. In Abgrenzung zur hegemonialen Männlichkeit als der dominanten männlichen Führungsposition typisiert Connell demnach drei Formen nichthegemonialer Männlichkeit, die durch unterschiedliche Praktiken und Hierarchiebeziehungen stets zur hegemonialen Männlichkeit in Relation stehen und dahingehend dieser untergeordnet sind. Abhängig von soziostrukturellen Kategorien wie Klasse, Ethnizität oder Sexualität, entstehen innerhalb der vermeintlich geschlossenen Genusgruppe „Mann“ verschiedene Untergruppen, welche ihrerseits durch asymmetrische Machtrelationen und Hierarchien gekennzeichnet sind sowie spezifische Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Jungen* und Männern* aufzeigen. Neben der Hauptachse männlicher Macht – derjenigen gegenüber Frauen* – zielen die hierarchischen und von Autorität geprägten Beziehungen zwischen Jungen* und Männern* untereinander ebenso auf die Herstellung und Aufrechterhaltung hegemonialer Männlichkeit und männlicher Macht ab. 1. Als unterste Kategorie innerhalb der männlichen Geschlechterhierarchien nennt Connell die untergeordnete Männlichkeit, die sich vor allem in der Abneigung des Homosexuellen sowie entsprechend in Homophobie und Schwulenfeindlichkeit äußert. Schimpfwörter wie Schlappschwanz, Waschlappen, Muttersöhnchen oder Memme machen deutlich, dass heterosexuelle Jungen* und Männer* untergeordnet sein können, wenn sie spezifisch hegemoniale Eigenschaften nicht verkörpern können oder wollen. Als Gegenbild zur hegemonialen Männlichkeit wird demnach alles abgelehnt, was dem hegemonialen Männlichkeitsideal entsprechend nicht männlich genug ist und daher als „zu weiblich“ gesehen und darum gewissermaßen abgewertet wird. 2. Als komplizenhafte Männlichkeit beschreibt Connell Männlichkeiten, die das hegemoniale Ideal nicht verkörpern können oder wollen, aber durch das patriarchale System und dem damit zwangsläufig verbundenen Zugewinn von männlichen Privilegien von der dominanten Führungsposition der hegemonialen Männlichkeit zwangsläufig profitieren. 3. Marginalisierter Männlichkeit wird der Zugang zu einer hegemonialen Position aufgrund gesellschaftlich exkludierender Differenzierungskategorien wie einer Behinderung sowie rassistischer oder sozialer Ungleichheit erschwert. Männer* in dieser Position können zwar in einer Weise gesellschaftlichen Erfolg genießen, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer marginalisierten Klasse oder Ethnizität hat beispielsweise ein schwarzer Spitzensportler bisher nicht vollständig von der Macht des Patriarchats profitieren können, sodass er im Laufe der Zeit zwangsläufig die Positionen der komplizenhaften oder untergeordneten Männlichkeit einnimmt. Zwar verkörpert nicht jeder Mann* das hegemoniale Männlichkeitsbild und nicht jeder Mann* folgt den Normen oder verinnerlicht die Normen, die es transportiert. Nichtdestotrotz berechtigt die wahrnehmbare Omnipräsenz der hegemonialen Männlichkeit innerhalb der universellen Geschlechterordnung Jungen* und Männern* diesen Idealtypus hegemonialer Männlichkeit zuzuschreiben. Connells Differenzierung erlaubt es verschiedene männliche Lebensrealitäten in den Blick zu nehmen, die nicht ausschließlich von Dominanz und Macht geprägt sind, sondern Ohnmacht und Verletzbarkeit berücksichtigen. Männlichkeit äußert sich somit als fragiles und unsicheres Konstrukt, welches andauernd abgesichert werden muss. Dies gilt es im Blick zu behalten, da eine Ablehnung oder Nichterfüllung hegemonialer Verhaltensweisen und Praktiken oftmals mit Marginalisierung und Diskriminierung innerhalb jugendlicher Peergroups einhergeht und entsprechende, auf Zwang beruhende Dynamiken entstehen können, durch die die eigene Männlichkeit abgesichert werden soll. Der Bruch mit dem eigenen sozialen Umfeld - und sei der Leidensdruck noch so hoch - wird jedoch nicht allein durch die Einsicht in den schädlichen Charakter der ernsten Praktiken geschehen. Die Sorge, als marginalisierter Typ von Männlichkeit und zum Außenseiter degradiert zu werden, veranlasst viele Jungen* dazu, sich dennoch den Hierarchiekämpfen weiter hinzugeben und ihren dabei empfundenen Leidensdruck und Schmerz auszublenden. Hegemoniale Männlichkeit ist demnach nicht eine bloße Entscheidung für oder gegen eine spezifische Form von Männlichkeit, sondern eine normativ wirksame Sozialstruktur. Connell, Raewyn (1999): Der gemachte Mann: Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Opladen: Leske+Budrich.

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